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Ein ungewöhnliches Quartett!
Es war wieder einmal so weit. Einmal im Monat musste Pudeldame Susi zum Friseur. Ob sie wollte oder nicht, ob es notwendig war oder nicht, es spielte keine Rolle. Es war die Fahrt, auf die die drei Freundinnen Resi, Anni und Traude – drei Damen, die den runden Fünfziger schon länger hinter sich gelassen hatten – am Samstag zu jedem Monatsbeginn schon ungeduldig warteten. Ihre Männer hatten sie längst von dieser Dringlichkeit überzeugt. Das Argument, „Pudel bekommen sofort Flöhe, wenn ihre Haare nicht regelmäßig geschnitten werden“, hatten sie ihren Männern so eindringlich und überzeugend nahegebracht, dass diese den Hund jedes Mal argwöhnisch und naserümpfend anschauten, wenn er nur in ihre Nähe kam.
Diese drei ungewöhnlichen Frauen konnten unterschiedlicher nicht sein. Eines aber hatten die drei gemeinsam: eine unstillbare Abenteuerlust.
Kurz beschrieben, war Resi die Resolute, Anni die Eloquente und Traude war ungewollt die Unterhaltsamste. Und so trieb es sie einmal im Monat nach Graz, und Pudeldame Susi, der Hund von Resi, musste
hierfür Federn lassen.
Da Resi das größte Auto besaß und das Autofahren liebte, war sie es, die die beiden Freundinnen immer vom vereinbarten Treffpunkt, einer Haltestelle, die für Anni und Resi zu Fuß in zehn Minuten erreichbar war, abholte. Pudeldame Susi hatte auf der Rückbank ihr Körbchen und rollte sich immer gleich kurz winselnd ein und steckte ihren Kopf unter ihre Kuscheldecke, wenn sich die Autotür öffnete und sich Anni neben sie auf die Rückbank schwang. Susi wusste inzwischen sofort, wohin die Reise ging, und so lustig war es für sie ja nun wirklich nicht. Das Haareschneiden störte sie gar nicht so. Nein, sie war sogar sehr stolz, dass sie beim Gassigehen immer von oben bis unten von Rolfi, dem feschen Golden Retriever, beschnuppert wurde, wenn sie frisch rasiert war. Es war der eingebildete Boxer Ronny von der Friseurin, der sie den ganzen Tag mit seinem wichtigen Getue nervte.
Am Beifahrersitz konnte oder wollte Anni nicht sitzen, da ihr immer schlecht wurde. Resi hatte einen recht eigenwilligen Fahrstil. Und Traude, die allem einen Spaß abgewinnen konnte, nahm gerne vorne Platz.
Auf diese Fahrt freuten sie sich diesmal besonders: Es war Anfang Mai, und in ihrem Heimatort in der Obersteiermark, welcher etwas höher lag, war die Frühlingsblüte mindestens vierzehn Tage später dran als in Graz. Bei ihnen streckten gerade erst die ersten Frühlingsboten ihre Triebe aus der Erde, und die Forsythien-Sträucher begannen zu knospen. Welche Blütenpracht sie in Graz erwartete, konnten sie nur erahnen und darauf hoffen. Und so stieg die Vorfreude und die Aufregung, je näher sie ihrem Ziel, dem Stadtpark Graz, kamen. Die Susi brachten sie vorher in Gratkorn, einer Marktgemeinde direkt im Norden von Graz, zum üblichen Friseurladen, der auch eine Hundepension führte, sodass die drei Damen ungehindert den ganzen Tag durch Graz wirbeln konnten.
Für diese monatliche Fahrt putzten sie sich immer besonders heraus. Schließlich wollten sie nicht, dass man gleich auf den ersten Blick erkannte, dass sie von auswärts kamen, und feine Damen zu spielen, war auch angesagt. Immerhin war im Anschluss an ihre Shopping-Tour auch noch ein Abschluss-Getränk in der Gollner-Bar in der Nähe vom Dietrichsteinplatz geplant, die aber erst ab 16 Uhr aufsperrte. Es gab dort herrliche Liköre zur Auswahl, und dieses Lokal wurde vorwiegend von älteren, aus ihrer Sicht feinen Herren besucht, die ihnen immer sehr viel Aufmerksamkeit schenkten. Dass sie dort einmal im Monat für eine willkommene Abwechslung und Unterhaltung sorgten, war ihnen gar nicht bewusst. Ihnen schmeckte der Likör, und sie genossen die Bar-Atmosphäre des turbulenten Stadtlebens immer wieder.
Anni, die vom Rücksitz aus die beiden mit den neuesten Tratsch-Geschichten aus dem Ort unterhielt, war für ihre eigentlich eher steife Art
auf ihre Weise auch sehr aufgeregt. Man merkte es, weil sie noch mehr redete und ganz rosa Bäckchen bekam. Resi riss zwischendurch am Lenkrad herum, wenn sie in ihrem resoluten Verhalten nicht ganz
jugendfreie Schimpftirade auf einen anderen Autofahrer losließ und schnaubte. Das veranlasste Anni dazu, ihre Geschichten abrupt zu unterbrechen, um sich kreischend am Vordersitz festzuhalten und
dabei unabsichtlich an den Haaren von Traude zu zupfen. Diese Reaktion forderte wiederum Traude heraus, die dann herumwirbelte und Anni schmerzerfüllt anschrie, dass sie sich beherrschen und sich an
der entsprechenden Haltevorrichtung oberhalb der Tür festhalten solle.
Sobald sich die Sache wieder beruhigt hatte, war Traude ob der komischen Situation sofort wieder am Lachen, welches die beiden anderen ansteckte. Danach war es für ein paar Minuten ruhig, was der Pudeldame Susi komisch vorkam. Sie zog daher für einen Augenblick den Kopf aus der Tiefe der Kuscheldecke und blickte von einer zur anderen. Es dauerte nicht lange und Anni setzte ihre Geschichten eifrig fort, und Pudel Susi legte mit einem Seufzer den Kopf wieder nieder und beobachtete das ganze Treiben weiter argwöhnisch.
Fast am Ziel angekommen, wurde es hektisch im Auto. Resi hielt nach einem Parkplatz gleich am Anfang des Stadtparkes Ausschau, und Anni und
Traude begannen eifrig in ihren Taschen zu kramen, ob sie wohl nichts vergessen hatten. Und wenn ja, wussten sie, dass es schon zu spät war. Sobald das Auto zum Stehen kam, öffnete Traude sofort die
Tür und hievte sich aus dem Auto. Mit ihren 59 Jahren hatte sie es doch schon ein wenig im Kreuz, und es dauerte immer ein bisschen, bis sie sich einigermaßen eingerenkt hatte. Anni war die
Schlankste von ihnen, und obwohl sie bereits 61 war, war sie um ihre Fitness zu beneiden. Resi hatte in ihrer charmanten Art einmal zu ihr gesagt, sie sei deshalb so schlank, weil sie beim vielen
Reden so viele Kalorien verbrannte.
Anni und Traude wussten beide, dass sie sich sputen mussten. Denn sobald Resi ihre Tasche in der Hand hatte und das Auto versperrt war, marschierte diese in so einer Geschwindigkeit los, dass sie beide zu tun hatten, um sie einzuholen. Das gelang aber nur ganz selten. Und so war es auch diesmal. Resi, die begierig war, in die Innenstadt zu kommen, sprintete mit ihren 71 Jahren los, und ihre Tasche schwang mit ihrem unverkennbaren Watschelgang im Takt mit. Es sah schon irgendwie komisch aus, wenn man ihr hinterherblickte. Anni und Traude schauten sich dann immer an und mussten lachen. „Lauf nicht so schnell, wir kommen nicht nach“, riefen sie ihr dann hinterher. Resi drehte sich gar nicht um und schrie so laut, sodass es alle im Umfeld hören konnten: „Kommt, ihr lahmen Hühner, die Hähne warten!“ Dann lachte sie laut und ging trotzdem in ihrem Tempo weiter. Daraufhin mussten Anni und Traude stehen bleiben, weil sie vom vielen Lachen fast keine Luft mehr bekamen, und es war einfach nicht mehr möglich, weiterzugehen. Dass die Leute in ihrer Nähe sie anstarrten, störte sie nicht im Geringsten. Sie fanden, dass die Stadtleute eh viel zu steif und ernst waren, und was soll’s, in spätestens acht Stunden waren sie wieder auf dem Heimweg und bis sie nächsten Monat wieder nach Graz kamen, war alles vergessen.
Als sie sich wieder einigermaßen gefangen hatten, marschierten auch die beiden los, quer durch den Stadtpark, der Resi hinterhereilend. Da
aber in Graz erwartungsgemäß bereits die volle Blüte des Frühlings eingesetzt hatte, mussten sie beide einerseits schauen, dass sie Resi hinterherkamen, aber sie konnten auch nicht umhin, sich die
Blütenpracht links und rechts ihres Weges anzusehen. Besonders angetan hatte es ihnen die Kastanienblüte, die im heurigen Jahr in Graz ganz früh dran war. Entlang des Gehweges reihte sich ein
Kastanienbaum an den anderen, und alle standen in voller Blüte. Man konnte sogar die vielen Bienen summen hören. Es war einfach unglaublich schön. Um anderen Fußgängern, die entgegenkamen, genug
Platz zu lassen, ging zuerst Traude und ein paar Schritte hinter ihr Anni. Man konnte das Schnaufen hören, dass sich aufgrund des hohen Tempos eingestellt hatte und ein ständiges „Oh, schau, wie
schön“, „Da schau, ist das nicht unglaublich, wie weit die Blüten hier in Graz schon sind?“. Die Köpfe der beiden drehten sich in alle Richtungen, den Gehweg fanden sie uninteressant. Und so
passierte das Unvermeidbare, und Traude rannte ungebremst in einen Laternenmast. Vor Schmerz gekrümmt, konnte sie im ersten Moment gar nichts sagen und hielt sich die Hand vor das Gesicht. Noch bevor
sie Anni warnen konnte, hörte sie bereits das unverkennbare Geräusch, welches auch sie vorhin in die Realität zurückgeholt hatte. „Autsch, du Sau“, rutschte es Anni im ersten Reflex heraus, die wie
Traude in den selben Mast gerannt war. Auch sie drückte ihre Hand auf das schmerzverzerrte Gesicht und trat aus Wut auch mit dem Fuß gegen den Mast, was ihr auch noch einen zusätzlichen Schmerz in
der rechten großen Zehe einbrachte. Die Tasche war ihr von der Schulter gerutscht, plumpste auf den Asphalt, fiel um, und heraus purzelten ein paar Utensilien, denn für das Schließen der Tasche war
aufgrund des Tempos, welches Resi vorgelegt hatte, keine Zeit mehr gewesen. Als der Schmerz sich bei Traude wieder einigermaßen zurückgezogen hatte, begann es in ihrem Gesicht verdächtig zu zucken,
und dann lachte sie schon herzhaft los. Sie hielt sich den Bauch und konnte gar nicht mehr aufhören, zu komisch war die gesamte Situation. Als sich auch Anni von ihrem Schmerz und vor allem von ihrer
Wut erholt hatte, stimmte auch sie in das Lachen ein.
Der gesamte Verlauf wurde von einem älteren Herrn, der ganz in der Nähe auf einer Parkbank saß, verfolgt. Besorgt eilte er herbei, und wie
es sich für einen Grazer Gentleman gehörte, wollte er einfach nur helfen. Er bückte sich und war schon dabei, die Sachen zurück in Annis Tasche zu stopfen. Anni, die die Situation etwas verkannte und
dachte, dass ihr jemand die Tasche klauen wolle, versetzte mit dem bereits schmerzenden Fuß dem Herrn einen Tritt in das Hinterteil und schrie: „Du Mistkerl, lass meine Tasche sofort los. Ich ruf die
Polizei. Hilfe!“ Der ältere Herr wiederum schnellte hoch, sah Anni entsetzt an und stotterte: „Ich, ich wo…wollte doch nur helfen, aber bitte, dann eben nicht.“ Schon wandte er sich ab und
entfernte sich von dem ganzen Chaos, da rief ihm Anni nach: „Bitte entschuldigen Sie, aber das wusste ich ja nicht, ich danke Ihnen!“ Der Mann drehte sich freudestrahlend wieder um und kam zum Ort
des Geschehens zurück. „Mein Name ist Herbert, und entschuldigen Sie bitte, dass ich mich nicht vorher vorgestellt habe. Aber ich war so in Sorge, da ich so etwas wie vorhin wirklich noch nie gesehen
habe. Ich dachte, da ist ein Unfall passiert, da es nur mehr so gekracht hat und Sie beide so schmerzgekrümmt dastanden.“ Er streckte Anni die Hand hin. Es entstand eine kurze Stille, Anni schaute
zuerst zu Traude, die ihr Gelächter kurz unterbrach, damit sie ja nichts überhörte, was sich da gerade anbahnte, dann schaute Anni wieder Herrn Herbert an und gab ihm ihre Hand und sagte: „Ich bin
die Frau Anni.“ Die Aussage „Frau Anni“ ließ Traude wieder in ihren Lachkrampf verfallen, sie konnte sich überhaupt nicht mehr beruhigen. Sie saß nun auf dem Gehsteig und hielt sich wieder den Bauch,
der vom vielen Lachen bereits schmerzte, und die Tränen rannen ihr nur so über das Gesicht. Nun stimmten auch Anni und Herr Herbert in diesen Lachreigen ein. Inzwischen hatten sich andere Fußgänger
eingefunden, die sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen wollten. Manche standen in der Ferne, andere blieben direkt bei den dreien stehen und mussten mitlachen.
Resi hatte irgendwann einmal bemerkt, dass sich ihre Freundinnen nicht mehr hinter ihr befanden, und kam nun schnellen Schrittes zurück zum
Ort des Geschehens. Jetzt ging alles ganz schnell. Sie starrte von der Beule auf der Stirn von Traude zur Beule auf der Stirn von Anni, zur am Boden liegenden Tasche und dann zum Herrn, der sich da
in irgendeiner Form beteiligt hatte, sie wusste nur noch nicht, wie, hatte aber bereits eine Eingebung. „Was ist denn da passiert?“, fragte sie ganz verwundert. „Hat euch dieser Herr überfallen? Na
warte, dir geb ich´s, du Bürscherl, meinen Freundinnen eines drübergeben und dann die Tasche klauen wollen.“ Und schon stürmte sie auf den verdutzt dreinschauenden Herbert zu. Herbert hob nur mehr
die Hände zum Schutze über seinen Kopf und wartete darauf, dass das scheinbar Unvermeidliche geschah. Er dachte sich nur mehr: „Hätte ich da nur nicht eingegriffen, hätte ich mir den ganzen Ärger
erspart.“ Dann brannte es bereits im Gesicht. Mit voller Kraft wuchtete Resi ihre Tasche gegen das Gesicht des Herrn. „Nein, hör auf, hör sofort auf, der Herr Herbert kann ja nichts dafür“, schrie
Anni sie an. Da war es aber schon zu spät, und auch Herr Herbert hatte nun eine Schramme auf seiner Stirn. Schnell erzählte Anni ihr in Kurzform die Geschichte, damit das Ganze aufgrund von
Missverständnissen nicht noch schlimmer wurde.
Traude, die sich gar nicht mehr beruhigen konnte, krümmte sich bereits am Boden vor Lachen, und ein verdächtiger kleiner feuchter Fleck machte sich direkt neben ihr auf dem Asphalt breit. Die Zuseheransammlung löste sich nun schnell auf, es konnte ja jetzt gefährlich werden, da es bereits drei Verletzte gab, und womöglich müssten sie dann auch noch als Zeugen aussagen. Es dauerte nicht lange, und die vier waren wieder alleine. Schön langsam beruhigten sich alle und auch Traude stand jetzt wieder und schaute etwas verlegen auf den feuchten Fleck am Boden, und rückte ihre türkise Bluse und ihren Rock zurecht, strich die Jacke wieder glatt und wartete nun ab, was weiter passierte. Ihr war momentan nicht mehr zum Lachen zumute, weshalb sie nun die anderen zwei antrieb, dass sie endlich weitergehen sollten. Resi entschuldigte sich mehrmals bei Herrn Herbert. Es war ihr wirklich peinlich, dass sie so überreagiert hatte. Anni verabschiedete sich mit dem charmantesten Lächeln, das ihr möglich war und lud Herrn Herbert um 16 Uhr in die Gollner-Bar zu einem Entschuldigungsgetränk ein, in der Hoffnung, dass dieser aber nicht kommen würde. Resi marschierte hastig los und verdrehte die Augen, da es gerade noch fehlte, diesem Herrn nochmal unter die Augen treten zu müssen. Sie wollte diese Sache so schnell wie möglich wieder vergessen. Und so gingen die drei Damen jetzt im Einklang bereits die Sporgasse hinunter, und Traude bestand stur darauf, kurz zum Palmers zu müssen, um danach beim Sorger aufs WC zu gehen. Als Traude auf ihrem weiteren Weg irgendwann ein Sackerl mit unbekanntem Inhalt mit aller Kraft in einen Mistkübelschlitz stopfte, hatten sie zwar eine Ahnung, wollten aber auf Rücksicht das Ganze nicht weiterverfolgen. Danach machten sie in der Innenstadt noch ein paar Einkäufe.
Inzwischen gingen sie zu Mittag auf ein Frankfurter Würstel auf den Hauptplatz. Sie hatten nun wirklich großen Hunger, sodass Resi gleich ein weiteres Paar bestellte. Dazu tranken alle drei eine Dose Bier. Aufgrund ihrer zwanglosen, lauten und humorvollen Art standen sie überall im Mittelpunkt, egal, wohin sie gingen. Den dreien fiel das natürlich gar nicht auf, sie dachten nur, die Grazer seien echt nette Leute.
Endlich war es 16 Uhr, und die Gollner-Bar sperrte auf. Resi, Traude und Anni standen voll bepackt mit ihren Einkaufstüten bereits
ungeduldig vor der Tür und plauderten und lachten voller Vorfreude. Endlich konnten sie sich jetzt niedersetzen und etwas trinken, der Tag war doch sehr anstrengend und aufregend gewesen. Sobald der
Oberkellner die Tür aufschloss, stürmten sie in ihrer unverblümten Art auch schon hinein. Sie nahmen an ihrem Stammtisch ganz in der Nähe der Theke Platz. Gleich darauf kam der Oberkellner zu ihnen,
blickte verstohlen zwischen der Stirn von Traude und Anni hin und her, wo noch immer gut sichtbar eine gerötete kleine Beule abstand, und fragte dann höflich, was die Damen bestellen wollten. Traude
und Anni entschieden sich für ein kleines Bier und Resi, die ja mit dem Auto fuhr, bestellte sich einen Apfelsaft aufgespritzt mit Soda auf eine Halbe. Bald standen die Getränke auch schon am Tisch.
Sie schnappten sich die Gläser, und da alle drei sehr durstig waren, nahmen sie einen ordentlichen Zug. Es dauerte nicht lange, und die Bar füllte sich so nach und nach. Einige Herren nickten ihnen
kurz zu, da sie sie bereits kannten. Ein paar Herren kamen zum Tisch und begrüßten sie direkt. Es war sicher keine Einbildung, aber an den Tagen, wo Resi, Traude und Anni in der Bar waren, ging es
wesentlich lauter und lustiger zu als sonst. Sehr zum Ärger mancher Damen, aber mit nur ganz wenigen Ausnahmen genossen die Herren die Unterhaltung.
Nachdem Resi bereits den zweiten halben Apfelsaft mit Soda fast ausgetrunken hatte, machte sie sich auf den Weg quer durch die Bar in den
Bereich, wo die Toiletten waren. Als sie zurückkam, wurde sie von ein paar Herren, die an einem größeren Tisch an der Fensterseite saßen, fröhlich angesprochen. Sie waren heute zum ersten Mal in
dieser Bar und fanden die drei Damen, die so quasselnd, gestikulierend und lachend drüben am Tisch neben der Theke saßen, sehr amüsant. Resi, die keine Berührungsängste hatte, setzte sich auf
Einladung der Herren an ihren Tisch und wurde auf ein Glas Wein eingeladen. Traude und Anni sahen, dass sich Resi gut unterhielt, und wussten, dass es jetzt sicher etwas dauern würde, bis sie wieder
zurück an ihren Tisch kam. Da die Gollner-Bar bekannt für ihre guten Liköre war und das auch ein wesentlicher Grund war, warum die drei an ihrem Graz-Tag überhaupt vorbeikamen, wollten die beiden
nicht mehr länger auf Resi warten. Traude bot Anni an, dass sie gleich direkt an der Theke für sie beide einen Likör holen wollte. Anni entschied sich für einen Haselnusslikör und Traude für einen
Cherry. Sie stellte sich direkt vor die Theke und gab ihre Bestellung auf. „Ich nehme aber gleich einen doppelten Cherry. Der eine ist die Zahnfüllung, der andere für den Genuss“, gab sie lachend von
sich. Der Oberkellner rang sich ob dieser Ansage tatsächlich ein kleines, feines Schmunzeln ab. Flink wie er war, stand das Bestellte auch schon da. Traude schnappte sich den Haselnusslikör und
stellte ihn vor Anni auf den Tisch, dann drehte sie sich wieder zur Theke, um ihren Doppelten zu nehmen. Da das Gläschen aber bis oben an den Rand gefüllt war – vom Oberkellner beabsichtigt oder
nicht –, wollte sie sicherheitshalber lieber ein kleines Schlückchen gleich direkt an der Theke heruntertrinken, es wäre ja schade um jeden Tropfen, den sie verschütten würde. Da die Theke doch recht
hoch war, hielt sie das Glas und senkte den Kopf, um gleich den ersten Teil zu schlürfen. Justament in dem Augenblick öffnete sich die Eingangstür und Herr Herbert betrat die Bar. Vor Schreck
verirrte sich der kleine Schluck Cherry in die Luftröhre. Traude schoss hoch, bekam keine Luft, dadurch wurde der Cherry mit Hochdruck durch die Nase ins Freie geschleudert. Traude schluckte und
hustete und über ihre türkise Bluse ergoss sich der Cherry und bahnte sich seinen Weg nach unten. Herr Herbert blieb erschrocken an der noch offenen Tür stehen und dachte sich etwas eingeschüchtert,
ob er vielleicht doch lieber nicht hätte herkommen sollen, da er doch ein bisschen Angst vor den drei Damen hatte. Sie waren ihm etwas zu temperamentvoll, er wollte aber nicht unhöflich sein, da ihn
Frau Anni ja eingeladen hatte.
Anni starrte ihre Freundin zuerst an und entschied sich dann doch, zu ihr zu gehen, um ihr ein paar Mal ordentlich auf den Rücken zu hauen. Das wiederum löste bei Traude einen noch größeren Hustenreiz aus. In der Bar war es auf einmal ganz still geworden und alle starrten auf Traude und Anni. Traude, der das Ausmaß plötzlich bewusst wurde, schnappte sich hustend ihr Gläschen Cherry und setzte sich mit einem beschämten Lächeln ganz schnell auf ihren Platz und versuchte so zu tun, als wäre nichts gewesen. Wenn ein weiterer Huster hochkam, wurde dieser mit aller Kraft unterdrückt und mit einem leisen Räuspern entlastet. Die Bluse putzte sie notdürftig mit einem Taschentuch ab. Dann redete sie mit Anni, die sich auch wieder niedergesetzt hatte, einfach weiter, so, als wäre nichts geschehen, und versuchte, ihr zu verstehen zu geben, dass Herr Herbert bei der Tür stand. Da diese sie noch immer wie erstarrt anschaute, trat sie ihr unter dem Tisch gegen das Schienbein und deutete jetzt auffälliger mit dem Kopf zur Eingangstür. Anni wollte schon etwas über den Tisch schnauben, schaute dann aber auch automatisch in diese Richtung, wo Traude hingedeutet hatte, und sah dann Herrn Herbert. Dieser hatte sich nun entschlossen, zu bleiben und steuerte etwas unsicher geworden auf die beiden zu. Anni, die nicht recht wusste, wie sie mit der Situation umgehen sollte, sie hatte ja wirklich nicht damit gerechnet, dass er kommen würde, lächelte gekünstelt und rutschte nervös auf ihrem Sessel herum. Resi, die das Ganze aus der Ferne beobachtet hatte, wusste, dass jetzt der Moment gekommen war, um aufzubrechen. Sie wollte mit Herrn Herbert auf keinen Fall mehr reden, geschweige denn, mit ihm an einem Tisch sitzen, und riss sich von der Männerrunde los, stürmte zu ihren Freundinnen und machte ihnen mit einer Dringlichkeit klar, dass sie sofort aufbrechen müssten, weil sie gerade einen Anruf bekommen habe, dass die Susi den Ronny gebissen habe. Da alles in einer Lautstärke war, dass das gesamte Lokal mithören konnte und die Situation immer skurriler wurde, ließen sich Traude und Anni nicht länger bitten, schnappten ihre Taschen und stürmten zur Tür hinaus. Während des ganzen Vorgangs rief Traude noch über die Schulter dem Oberkellner zu: „Der Herr zahlt.“ Dabei deutete sie auf Herrn Herbert und dann waren sie auch schon draußen und die Eingangstür schwang noch etwas nach. Zuerst war es ganz still und alle schauten Herbert an, was der jetzt wohl machen würde. Der gab sich natürlich nicht die Blöße, trat an die Theke, zückte seine Geldtasche, bezahlte alles und murmelte in seinen Bart hinein. Man konnte nur ein paar Wortfetzen wie „... Verrückte ...“ hören, dann verließ auch er peinlich berührt das Lokal. Eine Zeit lang mussten einige Gäste über das soeben Erlebte lachen, dann kehrte wieder die ursprüngliche Grazer Normalität ein.
Resi, Traude und Anni holten Susi wieder von der Friseurin in Gratkorn ab. Die Heimfahrt
verlief diesmal etwas ruhiger als sonst. Alle drei waren irgendwie müde. Im Gegensatz zu Anni, die nur noch ihre kleine Beule hatte, schaute Traude aus, als wäre sie verdroschen worden: Auf der Stirn
prangte die Beule und ihre türkise Bluse war voll mit rotem Cherry. Traude war es dann auch, die nach einer längeren Pause in die Stille hinein sagte: „Ich fahr
erst wieder im Herbst mit nach Graz und keinen Tag früher.“